
Morten Søndergaard wurde 1964 in Kopenhagen geboren. 1992 veröffentlichte er sein Lyrik-Debüt Sahara i mine hænder („Sahara in meinen Händen“). Sein Gedichtband Bier dør sovende (Dt. Bienen sterben im Schlaf. Gedichte, München 2007) wurde 1998 mit dem Michael Strunge Prisen ausgezeichnet. Søndergaard selbst hat mehrere Werke des argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges ins Dänische übersetzt. Zusammen mit Tomas Thøfner war er von 2002 bis 2007 Herausgeber der Zeitschrift „hvedekorn“ („Weizenkorn“). Neben Gedichten entstanden zahlreiche Klanginstallationen, CDs und Kunstobjekte. Sein Hörstück Monte Altissimo – Falling off the White Mountain, in dem er mit Aufnahmen aus einem Marmorsteinbruch nahe der Stadt Carrara arbeitet, wurde 2004 im Deutschlandradio aufgeführt. Zuletzt erschien 2016 auf Dänisch der Gedichtband Døden er en del af mit navn.
Morten Søndergaard: They
Von Florian Neuner
In seiner sechsteiligen Sprachkomposition They arbeitet Morten Søndergaard mit stark reduziertem Sprachmaterial aus Pronomen mehrerer Sprachen (Englisch, Deutsch, Dänisch, Finnisch, Italienisch). Die Musikalisierung des Materials erfolgt mit Hilfe von Wiederholungsstrukturen und durch das Herausmodellieren einzelner Silben und Laute. Dialogische und polyphone Passagen wechseln sich ab, immer wieder finden die drei Stimmen aber auch im Unisono zusammen. So lotet Søndergaard die Spannung zwischen Kollektiv und Individuum aus, und dabei schwingt auch immer die Frage mit, für wen die Pronomen jeweils als Platzhalter fungieren. Søndergaard spricht davon, seiner Komposition das Schwarmverhalten der Bienen zugrundegelegt zu haben; ein Gedichtband aus dem Jahr 1998 trug bereits den Titel Bienen sterben im Schlaf. Was passiert, wenn ein Bienenschwarm sich auf die Suche nach einem neuen Zuhause macht? Kundschafterinnen werden ausgesandt, schließlich wird gemeinsam eine Entscheidung getroffen. Die sechs Teile der Sprachkomposition spannen einen Bogen vom Nachdenken über einen Aufbruch über die Suche, einen »demokratischen« Bienentanz zur Entscheidungsfindung und dem Aufbruch bis zum Einzug in den neuen Bienenstock.

Die Individuen vereinigen sich zu einem Schwarm, der eine Art »Superorgansimus« darstellt. Als einen solchen Organismus betrachtet Morten Søndergaard, für den die Ursonate von Kurt Schwitters ein für seine künstlerische Entwicklung wichtiges Erweckungserlebnis war, auch das Ensemble sprechbohrer. In seinem Begleittext zu They schreibt er davon, dass Wiederholungsstrukturen dazu dienen können, Hörer in einen gleichsam vorsprachlichen Zustand zu versetzen, in dem Laute und Tonfälle in den Vordergrund treten und die Semantik in den Hintergrund – so wie auch Kleinkinder vor dem Spracherwerb ihre sprachliche Umgebung wahrnehmen. Søndergaard sieht eine Analogie zwischen dem Aufbruch des Bienenschwarms ins Ungewisse und dem Verlassen der gesicherten Wortsprache ins sprachmusikalische »Zwischenreich«. Am Ende schält sich aus dem Schwarm von Pronomen ein »nostro« heraus. Das ist die Inbesitznahme des neuen Territoriums.