Tone Avenstroup

© Natalia Reich


Tone Avenstroup (* 1963 in Oslo) ist eine norwegische Lyrikerin und Übersetzerin. Sie arbeitet auch als Regisseurin und Performerin. Mitgründerin der Theater- und Performancekollektiv BAK-TRUPPEN in Bergen, Norwegen. Eigene Produktionen in Zusammenarbeit mit Musikern und bildenden Künstlern seit 1998. Ihre norwegische-deutsche Lyrik und Texte zur intermedialen Produktionen sind u.a. beim Verlag Peter Engstler erschienen. Sie wohnt in Berlin seit 1990. Webseite: www.syssel.de

Aufnahme von SprachKunstTrio sprechbohrer

Tone Avenstroup: Mare Monstrum
Von Florian Neuner

Tone Avenstroup übersetzt ihre norwegischen Gedichte selbst ins Deutsche. Mit november im schlaf hat sie zudem 2019 einen Band vorgelegt, in dem deutsche und norwegische Passagen ineinander verwoben sind. Das Stück für die sprechbohrer enthält norwegische, deutsche und englische Sprachebenen, wobei das Norwegische in zwei Varianten (Süd- und Ostnorwegisch) auftaucht. Der Titel des »Wellen-Stücks« zitiert den albanischen Dichter Arian Leka: Mare Monstrum – die Verballhornung von Mare Nostrum, der römischen Bezeichnung für das Mittelmeer, spielt darauf an, dass dieses Meer zum Massengrab für Bootsflüchtlinge geworden ist. »Welle«, »wave« (engl.) und »bølge« (norweg.) bilden das Basis-Sprachmaterial für die sich aufschaukelnden Wellenbewegungen, den zehn Abschnitten sind Windstärken nach der Beaufortskala zwischen »leichter Brise« (2 Bft.) und »Orkan« (12 Bft.) zugeordnet. Zu den Wetterangaben (»ein steifer Wind setzt ein«) kommen Ortsangaben (»zwischen Bodrum und der Insel Kos«) und Fragmente von Berichten, die auf Schiffbrüche und Ertrinkende hinweisen (»Wasser dringt ins Boot«). Das Material stammt zum größten Teil aus dem Kompendium Todesursache: Flucht. Eine unvollständige Liste.

Auszug aus der Partitur Mare Monstrum von Tone Avenstroup

Die Unglücksfälle gleichen und wiederholen sich, lediglich an einer Stelle wird konkret das Bild jenes syrischen Jungen aufgerufen, der tot am türkischen Strand aufgefunden wurde (»the boy on the beach«), das sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt hat. Die Tatsache, dass Wasser-Metaphorik auch häufig eingesetzt wird, um die Fluchtbewegungen über das Mittelmeer in die EU als bedrohlich darzustellen – die Rede ist dann von Flüchtlingswellen oder -strömen, von einer Flut –, macht Avenstroups wogendes Textgewebe noch zwingender und beklemmender. Ihr Sprechstück bezeichnet die Autorin als »Mahnruf«. Es wird darin nicht konkret Anklage gegen Personen oder Institutionen erhoben – aber wer in den Ländern, die das Ziel der lebensgefährlichen Fluchten darstellen, könnte sich als gänzlich unzuständig betrachten? Eine norwegische Organisation, die über die Vorfälle im Mittelmeer berichtet, nennt sich »Bote aus der Hölle«. Das Meer hat sich am Schluss von Tone Avenstroups Stück nicht beruhigt: Bei steifem Wind (Bft. 7) ist von Pushbacks die Rede; »wir erwarten neue Meldungen«